Hauptsache man bedient Ressentiments

Ich kann es nicht mehr hören, die ewige Laier vom faulen Bürgergeld-Empfänger, dem man die Unterstützung streichen müsse. Tatsache ist eine andere. Die aller wenigsten wollen nicht nicht arbeiten, sondern können es aus verschiedensten Gründen nicht. Und die paar, die es wirklich nicht wollen… so what. Ich zahle jedenfalls lieber Steuern für einen Sozialstaat, der auch einer ist als für die Diäten von Verfassungsfeinden von der AfD. Und Herr Scheuer und Herr Spahn schulden uns ja auch noch einen Haufen Kohle.

Anstatt sich an denen abzuarbeiten, die eh nix haben, sollten die Herren Politiker sich mal um die wirklich wichtigen Dinge kümmern. Mal ganz abgesehen davon, dass die meisten Forderungen in Sachen Kürzungen vor keinem Gericht Stand halten dürften.
Und dazu gehören ganz sicher nicht kostenlose Parkplätze in den Innenstädten (glaubt die FDP wirklich, damit aus ihrem Umfrage-Tief raus zu kommen?) Wer meinte, dass es nach Dobrindt und Scheuer nur besser werden kann, hat sich leider geirrt.

Herr Kemmerich postet, dass er sich seine Thüringer Bratwurst nicht verbieten lassen will (was gar keiner tut, aber egal, Hauptsache, man haut mal einen raus). In Bautzen marschieren Neonazis auf und Herr Kretschmar hat sich bis heute nicht dazu geäußert. Am Samstag wollen die Nazibratzen auch in Leipzig gegen den CSD „demonstrieren“. Das geht vermutlich nicht so störungsfrei für die Springerstiefel ab wie in Bautzen.

Aber Herr Kretschmar biedert sich lieber schon mal bei Frau Wagenknecht an. Dem traue ich zu, auch mit der AfD zu koalieren, wenn es dem Machterhalt dient.

Ich bin kein Fan von Wolf Biermann, aber vielleicht hat er nicht so ganz Unrecht mit seiner Einschätzung:

„Wagenknecht und Höcke sind das politische Brautpaar der Stunde.“

ZEIT: Wollen Sie den Menschen pauschal ihre Demokratiefähigkeit absprechen?

Biermann: Den Vorwurf finde ich richtig und zugleich pauschal. Nicht alle, aber zu viele gelernte Untertanen im Osten erwarten, dass sich der Staat wie in einer strengen Fürsorgeanstalt um alles kümmert.

ZEIT: Ostdeutschland hat doch auch eine starke demokratische Tradition: Es gibt wenige Beispiele, dass eine Gesellschaft eine friedliche Revolution so gut hinbekam wie die von 1989.

Biermann: Für die Freiheit kämpften in der DDR damals leider nur die auf der Straße. Der Historiker Ilko Kowalczuk sagt: „Die Mehrheit stand hinter der Gardine.“ Die wollten nicht mit dem Trabbi aus Pappe nach Ungarn fahren, sondern mit dem Mercedes nach Italien.

ZEIT: Nehmen Sie sich nicht zu viel raus, wenn Sie so ein Bild des Ossis zeichnen: ein notorischer, allenfalls in Jahrzehnten verbesserbarer Obrigkeitshöriger, der die Freiheit eigentlich gar nicht wollte?

Biermann: Ja, Sie haben recht. Den simplen Ossi gibt es eh nicht, das weiß sogar ich. Und darauf hoffe ich jetzt vor den Landtagswahlen: Viele votieren für eine bunte Demokratie. Die wählen ohne Wutbürger-Romantik gutbürgerlich CDU, SPD, Grüne und FDP. Und das freut mein altes Herz.

ZEIT: Welche Ossis sind dann diejenigen, die in Ihren Augen ein Freiheits- und Demokratieproblem haben?

Biermann: Die, die zu feige waren in der Diktatur, rebellieren jetzt ohne Risiko gegen die Demokratie. Den Bequemlichkeiten der Diktatur jammern sie nach, und die Mühen der Demokratie sind ihnen fremd. Und ihre Scham zerfrisst ihr Selbstwertgefühl. Ihr altes Leben verklären sie und wählen AfD oder die neue Firma von Sahra Wagenknecht. Wagenknecht und Höcke sind das politische Brautpaar der Stunde. Da wächst in der Ex-DDR zusammen, was zusammengehört: die Erben des Hitlerschen Nationalsozialismus und des Stalinschen Nationalkommunismus“

Ich habe das Gefühl, es werden nur noch Ressentiments bedient, man lässt sich von Populisten scheuchen und macht sich mit ihnen gemein. Herr Söder postet nur noch, was er täglich frisst (das ist so peinlich, das es quietscht) und statt sich mal darum zu kümmern, wie ein Herr Musk mit seinem X ganz massgeblich Einfluss nimmt, nutzt man dessen Plattform für unsäglich Selfies mit Bratwurst, Folklore und populistische Statements.

Wie Elon Musk hilft, den “Bürgerkrieg” anzufachen

Übrigens sorgt sich Herr Höcke um Oma und Opa, die in Pflegeheimen von den Pflegekräften bei der Briefwahl manipuliert werden, weshalb er alle dazu auffordert, selber zu gucken, dass sie auch ja AfD das richtige wählen. Ich hoffe, die, die sich jeden Tag um die alten Menschen kümmern, blasen ihm mal ordentlich den Marsch.

Und während sich die Politker*innen in Sachen Populismus gegenseitig übertreffen, jagt ein Unwetter das nächste, Keller laufen voll und das bald täglich irgendwo in Deutschland. Aber was schert mich der Klimawandel, wenn ich Stimmung gegen Bürgergeld-Empfänger, Migrant*innen und andere machen kann. Was scheren mich Nazi-Aufmärsche, wenn ich mit Bockwurst und Schweinsbraten ablichten lassen kann.

Und im Zweifel sind eh die Grünen an allem Schuld.

4 Anmerkungen zu “Hauptsache man bedient Ressentiments

  1. Zu allererst: Herr  Biermann Einschätzung liegt mit seiner Einschätzung wohl wirklich richtig!
    Und man kann nur hoffen, dass es nicht wirklich zu einem derartigen Bündnis kommt, wenn daraus eine regierungsfähige Mehrheit entstehen würde.

    Wobei die Altparteien ja allesamt daran zu arbeiten scheinen, dass es soweit kommt.  Egal ob Ampel mit dem fürchterlichen Schmierentheater und Gezerre um den Haushalt und, Rentenkürzungen oder die Bürgergeldenpfänger  oder die Union, deren Mitglieder sich zu 50% vorstellen können, mit den Kackblauen zu koalieren,
    Und obendrauf noch die Klientelgesteuerten und vorgestrigen Einfälle mancher FDP-Politiker, wie der Idee mit den Kostenlosen Prakplätzen und der Aufhebung von weiteren Verkehrsbeschränkungen in den Innenstädten.

    (Wobei mich schon fast verwundert, dass dies wohl für alle Autofahrer gelten soll – und nicht nur für Audi -,  BMW-, Porsche- und Mercedesfahrer und natürlich für SUVs mit Fahrzeuggewichten über zweieinhalb Tonnen)

    Da ist es doch kein Wunder, dass die Politikverdrossenheit immer weiter steigt.
    (und viel fehlt nicht mehr, dass es auch bei mir soweit  ist…..)

    1. Gerade habe ich in einer Zeitung gelesen, was der Verkehrsminister eigentlich beruflich macht B-)   Wie wäre es denn, wenn man die Busspuren für Porsche-Fahrer frei gibt?

      Zumindest kann man Herrn Biermann nicht vorwerfen, nicht beide Systeme und beide Mentalitäten zu kennen. 

  2. Ich habe den Text von Biermann mehrmals gelesen – er hat in so vielen Sachen recht – die, die damals zu feige waren, gegen den Staat aufzumucken, die sind jetzt die begeisterten AfD-Anhänger und denken, die machen das, was sie sich schon so lange wünschen.

    Es wird wirklich zusehends schwerer und schlechter – mit dem Klima als auch ganz besonders mit der Politik. Und so, wie du sagst – Kretschmer koaliert mit allen, die ihn an der Macht lassen – so einen Posten gibt man doch nicht freiwillig auf. Es ist einfach nur noch zum reihern.

    Über die FDP, besonders über die sauschlechten Verkehrsminister dieser Partei, sollte man kein Wort verlieren müssen – raus aus dem Bundestag!!!

    Wie Martin schreibt, wie soll man sich da für Politik begeistern?

    1. Ich war schon immer ein politischer Mensch und werde es sicherlich auch bleiben. Begeistern tut mich da nicht viel, aber es ignorieren kann ich auch nicht.

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