Die Mitternachtsbibliothek

Stell dir vor, auf dem Weg ins Jenseits gäbe es eine riesige Bibliothek, gesäumt mit all den Leben, die du hättest führen können. Buch für Buch gefüllt mit den Wegen, die deiner hätten sein können.
Hier findet sich Nora Seed wieder, nachdem sie aus lauter Verzweiflung beschlossen hat, sich das Leben zu nehmen. An diesem Ort, an dem die Uhrzeiger immer auf Mitternacht stehen, eröffnet sich für Nora plötzlich die Möglichkeit herauszufinden, was passiert wäre, wenn sie sich anders entschieden hätte. Jedes Buch in der Mitternachtsbibliothek bringt sie in ein anderes Leben, in eine andere Welt, in der sie sich zurechtfinden muss. Aber kann man in einem anderen Leben glücklich werden, wenn man weiß, dass es nicht das eigene ist?
Matt Haig ist ein zauberhafter Roman darüber gelungen, dass uns all die Entscheidungen, die wir bereuen, doch erst zu dem Menschen machen, der wir sind. Eine Hymne auf das Leben – auch auf das, das zwickt, das uns verzweifeln lässt und das doch das einzige ist, das zu uns gehört.

vorablesen

Ein spannendes Buch, wie ich finde. Zumal es bei diesen Leben, in die Nora eintaucht, immer um Episoden aus ihrem eigenen handelt. Sie geht zurück, um sich neu und anders zu entscheiden. Vermutlich kennt jeder so Gedanken, was wäre gewesen, wenn ich mich in dieser oder jener Situation anders entschieden hätte, als ich es getan habe. Da kommt vielleicht der Gedanke auf, Dinge zu bereuen, Wege nicht gegangen zu sein. Wäre ich damals in dem Haus geblieben, bei dem Mann geblieben, mit dem ich zusammengelebt habe, z.B. Ich finde solche Gedanken eher müßig, weil es nun mal anders gekommen ist und ich selber mache mir nicht oft Gedanken a la, was wäre wenn…

Ich hatte ganz andere Vorstellungen über mein Berufsleben, ich hätte vielleicht gerne ein oder zwei Kinder gehabt und manch anderes mehr. Aber wäre es dann besser, mein Leben? Viel zu oft richtet sich der Blick auf verpasste Chancen und viel zu schnell wird das, was gut gelaufen ist kaum wahrgenommen.

Nora hat auf dem Übergang vom Leben in den Tod die Möglichkeit, an manche Stationen ihres Lebens zurückzugehen und sich anders zu entscheiden. Die Kapitel handeln dann davon, wie ihr Leben verlaufen wäre, wenn… und das ist natürlich nicht immer so, wie sie es sich schön gemalt hat.

Jedes Leben umfasst Millionen von Entscheidungen. Manche groß, manche klein. Doch jedes Mal, wenn man einer Entscheidung den Vorzug vor einer anderen gibt, fällt das Resultat unterschiedlich aus. Es tritt eine irreversible Veränderung ein, die wiederum zu weiteren Veränderungen führt.

aus dem Buch, S. 284

In manchen Rezensionen wird bemängelt, dass es keine Triggerwarnung gibt. Das mag stimmen, ich selber habe mich nicht getriggert gefühlt, was aber daran liegen mag, dass ich meine Depressionen lange überwunden habe. Ich kann aber nicht ausschließen dass das Buch für Menschen mit psychischen Erkrankungen triggernd wirken könnte.

„Es reicht, eine einzige Person zu sein. Es reicht, eine einzige Existenz zu leben.“ (Matt Haig)

Von mir eine absolute Leseempfehlung. Und schon bin ich in einer Leseprobe eines anderen Buches von Matt Haig: Mach mal halblang. Anmerkungen zu unserem nervösen Planeten:

Sind Sie schon durchgedreht oder arbeiten Sie noch daran?

Wir leben in einem Zeitalter der Ängste und der überdrehten Schnelligkeit. Man könnte meinen, unsere gesamte Lebensweise wäre darauf ausgerichtet, uns ins Unglück zu stürzen. Der Life-Overload hat uns fest im Griff. Aber: Können wir etwas dagegen tun? Matt Haig beschäftigt sich intensiv mit der Frage, wie die lärmende Außenwelt unser Denken beherrscht und wie wir uns zur Wehr setzen können. Es geht um große und kleine Dinge, um Weltpolitik, Gesundheit, Smartphones, Social Media, Sucht, Vernetzung. Ein Buch, das uns alle angeht und das uns unserer eigentlichen Aufgabe wieder ein wenig näherbringt: dem Menschsein.

Irgendwann will ich mich noch mal über die Bücher von Joachim Meyerhoff hermachen. Das erste hatte ich schon mal angefangen, aber dann begann meine bücherlose Zeit.