Immer noch unter Schock, aber nicht sprachlos

Das Problem mit solchen Karten ist, dass der „Osten“ in den Köpfen mal wieder als blauer Sumpf abgestempelt wird. Diese Simplifizierung ist Teil des Problems dass zu den katastrophalen Wahlergebnissen geführt hat. Selbst wenn man innerlich versucht beim Anblick dieser Karte zu differenzieren – was hängen bleibt bei den meisten ist: Osten=blau. Das führt im Westen zur Verfestigung des Klischees, die Ostler seien nicht in der Demokratie angekommen und im Osten zu noch mehr Trotz bzw. Selbstscham und Abkapselung von der eigenen Identität.

In Brandenburg an der Havel hat die AFD 25% der Stimmen. Nicht schön. Was nicht im Kopf hängen bleibt ist, dass 75% der Menschen hier NICHT die AFD gewählt haben. Auch das mal kurz und knapp grafisch vor Augen geführt zu bekommen wäre immens wichtig, um das Bild vom „Osten“ realistischer zu gestalten. Ich bin sicher, CDU Ablehner im „Westen“ möchten im öffentlichen Diskurs auch nicht als homogene schwarze CDU Masse wahrgenommen werden, nach dem Motto: „Warum lernt der Westen nicht dazu? Warum bleibt er unsozial, konservativ und rückwärtsgewandt?“

Die Wahlergebnisse sind hochproblematisch und ich unterstelle jedem, der die AFD gewählt hat, im besten Fall Denkfaulheit, Selbstvictimisierung und Dummheit. Aber das Problem wird nicht dadurch besser, dass wir auf den „Osten“ zeigen und betroffen die Köpfe schütteln, weil „die“ scheinbar einfach nicht in der Demokratie ankommen wollen. Damit machen wir es uns zu einfach.

tobias panwitz auf fb

Auch da, wo die AfD, wie in Teilen von Sachsen, 40% erzielt hat, haben dennoch 60% die AfD nicht gewählt. Trotzdem ist die AfD eine Gefahr für unsere Demokratie, für den gesellschaftlichen Zusammenhalt und für drängende Probleme wie den Klimawandel. Wobei im Kampf gegen letzteren die CDU/CSU und die FDP kaum minder gefährlich sind. Zweifelsohne reichen die Wahlerfolge mühelos aus, das gesellschaftliche Klima weiter zu vergiften und irgendwelche Lösungen wird es nicht bringen, denn wenn die AfD eines nicht hat, dann sind es Lösungen. Und für Europa ist es eine finstere Zeit, wenn die Zahl der EU Gegner im EU Parlament immer größer wird.

Ich verstehe nach wie vor nicht, wie die, die sich abgehängt und benachteiligt fühlen, eine Partei wählen können, die alles auf dem Schirm hat, aber ganz sicher nicht die Belange des „kleinen Mannes“. Da faselt doch eben eine Wählerin im Fernsehen, die AfD würde ihre Rente erhöhen. Wovon träumt die Frau nachts?

Auch im Westen ist die AfD auf dem Vormarsch, wenn auch nicht so stark wie im Osten, aber es ist zu einfach, nur auf den Osten zu zeigen, auch wenn ich selber kaum noch Lust habe, in die sog. neuen Bundesländer zu fahren, nicht wissen könnend, ob ich da einem überzeugten AfDler mein Geld in den Rachen schmeiße, wenn ich übernachte, essen oder shoppen gehe. Gerade in Erfurt habe ich beides erlebt… eine Ladeninhaberin, die mich mit ihrem rechten Geschwafel aus dem Laden getrieben hat und eine, mit der ich mich lange unterhalten habe und deren offenes Engagement gegen Rechts ich bewundere, zumal es eben in so einer Kleinstadt nicht ganz ungefährlich ist.

Ich habe damals in Leipzig (das ja in weiten Teilen noch anders tickt als der Rest von Sachsen), selber die vergiftete Stimmung erlebt, als Pegida, Legida und Co. jeden Montag durch die Stadt gezogen sind.

Was aber auch am Sonntag passiert ist: Die AfD hat nicht eine der vielen Stichwahlen in Thüringen gewonnen.

Damit will ich ganz sicher nicht kleinreden, was hier gerade passiert.

Ich bin Ostdeutscher und ich weiß gerade nicht, was mich mehr frustriert: die Wahlergebnisse oder die zahlreichen Kommentare über den Osten. Es ist ziemlich kommod, aus sicherer Entfernung angewidert auf den Ostteil des Landes zu blicken und resigniert den Kopf zu schütteln. Dabei wird leicht die nicht unbeträchtliche Zahl von Menschen übersehen, die sich hier seit Jahren für Demokratie engagieren und klare Kante gegen Rechtsextremismus zeigen. So traurig es ist, in einigen ostdeutschen Regionen erfordert dieses Engagement tatsächlich Courage und Mut. Sich jetzt vom Osten abzuwenden, heißt, die ostdeutschen Demokraten im Stich zu lassen.

arndt ginzel-journalist

Ja, ich habe auch Gedanken gehabt, wie, ich will die Mauer zurück. Aber das ist mehr Ausdruck meiner Hilf-und Fassungslosigkeit. Ich hatte immer Probleme mit dieser Form der Wiedervereinigung, die in meinen Augen keine war. Es war eher eine Art Annexion. Aber das ist ein anderes Thema. Und es nützt auch wenig, das heute noch zu beklagen. Was wir tun müssen, ist zusammenhalten, uns im Kampf gegen rechts nicht spalten lassen.

Was ich jetzt fürchte, ist, dass die nie wirklich stabile Brandmauer z.B. der CDU jetzt noch brüchiger wird, wenn es darum geht, sich den Machterhalt zu sichern. Frau von der Leyen knutscht ja schon auf offener Bühne mit der Postfaschistin Meloni. Welche gemeinsamen Werte sie mit dieser Frau ausmacht, ist mir ehrlich gesagt schleierhaft. Gerade Frau Meloni ist ein Paradebeispiel dafür, was passiert, wenn Faschos an die Macht kommen. Mal eben eine Verfassungsänderung durchboxen, die vor allem eines zum Ziel hat: Ihre Macht sichern und ausbauen.

Der Rechtsruck findet ja auch nicht nur hier in Deutschland statt. Frankreich, Italien sind auch ganz vorne mit dabei.

Und hier findet er nicht nur in Form der AfD statt. Das Bündnis Sahra Wagenknecht tickt ja ähnlich wie die AfD und hat sich bereits zur Zusammenarbeit mit der AfD bereit erklärt. Die Unterschiede zwischen den beiden sind eher marginal.

Aber nun freue ich mich erstmal, dass zwei nette Sanitäter*innen den Gatten an der Wohnungstür abgeliefert haben und er wieder zuhause ist. Nachher muss ich noch Verbandsmaterial besorgen und dann wird wohl Schwester Birte die Wunde täglich neu bepflastern B-)

Zur Unterhaltung für den noch halb bettlägrigen Gatten und die Katzen tummeln sich heute immer wieder mal zwei Buntspechte auf dem Balkon. Leider kann ich sie nur durch die geschlossene Balkontür fotografieren.

7 Anmerkungen zu “Immer noch unter Schock, aber nicht sprachlos

  1. Gut gesprochen meine LIebste!
    Dem kann ich nur beipflichten und Dir meinen Respekt zollen, zumal ich selbst immer noch nicht in der Lage bin, derartige Texte zu verfassen und das Thema mal aus mehreren Perspektiven zu beleuchten…

    1. Ist halt meine Art und Weise aus der Schockstarre zu kommen. Mit dem Ergebnis dieser Wahlen werden wir leben müssen und ich kann nur hoffen, dass es die AfD doch hinkriegt, sich selbst zu entzaubern. Was erste gewählte Landräte und Bürgermeister alles nicht auf die Kette kriegen, kann man ja schon live miterleben. Ist eben ein Unterschied, ob man nur große Töne spuckt oder sich den Realitäten stellen muss.

  2. Ich schließe mich den Worten von Arndt Ginzel an, der das als Journalist schreibt.
    Und bei Frau von der Leyen muss ich meinen Kopf festhalten, damit er beim Kopfschütteln nicht abfällt. Für die eigene Machterhaltung verkauft sie und vielleicht auch die gesamte CDU/CSU ihren Ruf – ob der je richtig gut war, wage ich anzuzweifeln.
    Wenn die AfD nicht solche Dummbatzis wie den Gauland, die Storch und den jetzigen Vorsitzenden hätten, würden sie noch mehr Stimmen bekommen. Über das Prädikat der „schönen Alice“ bin ich mir nicht ganz sicher.
    An die Landtagswahlen muss ich jetzt noch nicht denken.

  3. Liebe Birte,
    ach wie schön der Specht und der tummelt sich auch noch bei Deinem Balkon.
    Deinem Gatten wünsche ich Gute Besserung und hoffe es geht ihm bald wieder gut.
    Lieber Gruss Claudia

    1. Inzwischen sind sie zu zweit, aber das zeige ich noch.
      Wir hoffen jetzt, dass die Krankenkasse die Reha bewilligt. Gut wird da nix mehr. Aber ein bisschen besser muss es einfach werden.

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