Nein danke, ich unterschreibe nicht

Da haben ein paar Intellektuelle, bzw. solche, die sich dafür halten (bei Dieter Nuhr und Alice Schwarzer habe ich da so meine Bedenken), einen offenen Brief an Olaf Scholz geschrieben und ihn vor einem dritten Weltkrieg gewarnt.

Diese weitestgehend substanzlos begründete, naja, Warnung ergießt sich in einem bemerkenswert uninspiriert formulierten Aufruf, bitte keine Waffen in die Ukraine zu schicken. Diese Friedenstauben der Realitätsentrückung wissen zwar, dass diese Waffen praktisch stündlich dringender gebraucht werden, um Menschenleben zu retten und dass Putin keinen gesonderten Grund braucht, um irgendwen anzugreifen, schüren aber lieber das Panikpotenzial der Deutschen vor einem sehr theoretischen Atomkrieg. Angstkatalysator Hochkultur. Oder wie es der Historiker Richard Volkmann nennt: „Ein Zeitdokument der niederträchtigen deutschen Selbstbezogenheit“.

Satirischer Wochenrückblick

Es ist nicht so, dass ich Waffenlieferungen und Aufrüstung befürworte. Ich bin jahrelang genau dagegen auf die Straße gegangen und mein Engagement in der Friedensbewegung war damals intensiv und andauernd. Allerdings muss ich zugeben, dass ich inzwischen der Meinung bin, dass wir mit „Frieden schaffen ohne Waffen“ zumindest jetzt nicht weiterkommen und ich es schon zynisch finde, wenn ich die Bilder aus der Ukraine sehe, jetzt solche moralischen Pamphlete zu verfassen.

Im Text geht es zwar vordringlich um die Ukraine und um Russland, aber in seiner als Verantwortungsbewusstsein getarnten feigen Menschenverachtung ist er eigentlich austauschbar. Redaktionelle Anpassungen genügen, und man hätte ihn genauso gut zum Jemenkrieg oder zum Kampf gegen den IS publizieren können. Die zentrale Frage, zu deren Beantwortung solche Pamphlete in Deutschland immer wieder in Umlauf gebracht werden, ist am Ende schließlich stets die gleiche: Alles furchtbar, aber was können wir tun, damit uns nichts passiert?

Dabei entwickelt die deutsche Volksseele, die in diesem Fall von intellektuellen Schwergewichten wie Reinhard Mey oder Martin Walser und anerkannten Verteidigungsexperten wie Dieter Nuhr repräsentiert wird, eine geradezu quirlige Kreativität. So, wie auch der Kanzler in den vergangenen Wochen nie um eine Ausrede verlegen war, warum diese oder jene Waffengattung nicht geliefert werden konnte und Deutschland im westlichen Bündnis von Alleingängern umzingelt war, haben auch Antje Vollmer, Alice Schwarzer, Lars Eidinger und Co. eine klare Vorstellung davon, was jetzt zu tun und zu lassen ist. 

Nuhr peinlich-Salonkolumnisten

Auch wenn Leute, die ich an für sich sehr schätze, wie Reinhard Mey, Juli Zeh oder auch Rangar Yogeshwar, den Brief unterschrieben haben, ich werde es nicht tun, auch wenn ich von Freunden in meiner Facebook Bubble dazu aufgefordert werde.

Daher geht es hier nicht um “Kriegsbegeisterung” oder hastig über den Haufen geworfenen Pazifismus. Und schon gar nicht um die Gefahr, besser keine “Gründe” zu liefern um in den Konflikt “hineingezogen” zu werden. Sondern darum anzuerkennen, dass man einer Bedrohung gegenübersteht, die durch Verhandlungen, Appeasement oder Zugeständnisse nicht abgewendet werden kann, und aus dieser Erkenntnis heraus Verantwortung zu übernehmen. Nicht mehr und nicht weniger, egal wie beängstigend das ist, denn die Alternative ist Unterwerfung, und ob das dann das Überleben sichert ist keinesfalls erwiesen. Wenn das Deutsche “Nie wieder” in Bezug auf Faschismus nicht weiterhin eine reine wohlfühlige Nostalgie-Posse sein soll ist es alternativlos, Haltung zu zeigen

Ukraine: Der offene Brief in der “Emma” und warum “Aufrüstung ja oder nein” die falsche Frage ist

Im Mittelpunkt stehen nicht diejenigen, die da mit Bomben und Raketen angegriffen werden, sondern wir Deutsche und unsere Ängste. Das ist erbärmlich.

taz.de

Im Übrigen halte ich es wie dieser Blogger:

Was ich in diesem Leben bestimmt nicht mehr machen werde? Offene Briefe unterzeichnen, unter die bereits Alice Schwarzer und Dieter Nuhr ihre Unterschrift gesetzt haben.“ schreibt der Blogger Thomas Stadler.

„Der Sofa-Pazifismus hat wenig anzubieten. Und deshalb haben Habermas, Zeh oder Polt schon mal abgerüstet. Auf das Niveau einer intellektuellen Schlichtheit, die man von ihnen nicht erwarten durfte.“

Tagesspiegel-Intellektueller Offenbarungseid

Auch wenn in diesem offenen Brief auf das Leid der ukrainischen Zivilgesellschaft referenziert wird, das enden sollte (als ob es das nach einer Kapitulation tun würde), scheint die Hauptangst die um das eigene Wohlergehen zu sein. Salopp formuliert: Schatz, gib dich lieber hin, sonst schlachtet er dich und unsere ganze Familie ab. Der wohl perfideste Satz in diesem Brief ist die Warnung vor dem »Irrtum, dass die Verantwortung für die Gefahr einer Eskalation zum atomaren Konflikt allein den ursprünglichen Aggressor angehe und nicht auch diejenigen, die ihm sehenden Auges ein Motiv zu einem gegebenenfalls verbrecherischen Handeln liefern.« Das ist Täter-Opfer-Umkehr in Reinkultur.

Spiegel-Das ist Täter-Opfer-Umkehr in Reinkultur

Selbst wenn der Brief nicht ausgerechnet von Alice Schwarzer veröffentlicht worden wäre und von dem unsäglichen Dieter Nuhr mit unterzeichnet worden wäre, ich würde ihn vor allem wegen seines für mich unerträglichen Inhaltes nicht unterschreiben.

Initiatorin Schwarzer hatte bereits vor ihrer Berufung zur Außenpolitische Sprecherin der Kompromiss-Bourgeoise eine imposante Karriere hingelegt.

(…)

Das Fachblatt für den aufopferungsvollen Kampf gegen Vorverurteilungen, die BILD, hatte ihr damals (meine Anmerkung: in ihren Feldzug gegen Kachelmann) monatelang die Titelseiten leergeräumt.

s.o. Satirischer Wochenrückblick

Natürlich gefällt auch mir nicht, dass jetzt bei Rheinmetall und Konsorten die Aktienkurse steigen, aber es ist ja nun klar, dass die Ukraine sich nicht mit Wattebäuschen verteidigen kann. Und wenn sich diese intellektuelle Blase schon äußern muss (was ich ihn gar nicht streitig machen will), warum schreiben sie nicht an Putin?

Ich bleibe dabei, ich unterschreibe diesen offenen Brief ganz sicher nicht. Natürlich muss das jeder für sich entscheiden, ich schreibe hier nur für mich und über das, was ich dazu denke und bediene mich zugegebenermaßen auch anderer, die da ähnlich denken wie ich, es aber besser oder auch pointierter ausdrücken können. Ich bin auch nach wie vor durchaus ambivalent, sehe aber keine Chance, mit einem völlig abgedrehten Despoten wie Putin, diesen Krieg durch Verhandlungen zu beenden. Hätte bei Hitler übrigens auch nicht funktioniert, auch der konnte nur durch verheerende Waffengewalt bezwungen werden. Frieden schaffen ohne Waffen funktioniert leider eher nicht, solange noch irgend jemand Waffen hat und da man sich weltweit ja nicht mal auf die Ächtung einzelner Waffen wirklich einigen kann, ist es noch ein sehr weiter Weg hin zu einer waffenfreien Welt, so es die denn ja geben wird. Das heißt ja nicht, dass man nicht weiter vom Pazifismus träumen und sich für ihn engagieren kann.  Aber hier geht es jetzt vor allem um die Ukraine und um die Menschen da, die in meinen Augen ein Recht haben, sich zu verteidigen.

Wo sind solche offenen Briefe eigentlich gewesen, als es um Waffenlieferungen nach Saudi-Arabien, Ägypten oder sonst wohin ging? Ach so, das war ja nicht für uns bedrohlich. Insofern kann ich dem nur zustimmen: Es ist erbärmlich.

Ein Auto mit ukrainischen Flüchtlingen hat es bis nach Warschau geschafft. Die Insassen haben überlebt, die Kofferraumklappe nicht.