Chemnitz

Ich gebe zu, mir wird es auch langsam zu viel….. die Timeline bei FB ist voll von Nachrichten aus Chemnitz, mit Nachrichten über Überfälle auf Menschen, die „nicht deutsch“ aussehen (z.B. in Wismar vor ein paar Tagen oder in Winnenden gestern). Aber weggucken, weghören ist nun mal keine Alternative.
Schweigen auch nicht. Ich hatte ernsthaft überlegt, ob wir heute nicht doch nach Chemnitz fahren sollten. Wir werden es nicht tun, wir werden hier in Hamburg tun, was zu tun ist. Wobei das nicht viel ist. Wir leben da in einer echten Komfortzone. Wir haben keine Bekannten, die rechtes Gedankengut teilen, wir arbeiten in Kontexten, wo man mit Respekt miteinander umgeht. Martin begegnet zwar gelegentlich Kunden, die sich abfällig über seine „ausländischen“ Kollegen äußern, aber die sind dann auch längste Zeit Kunden dieses Pflegedienstes gewesen, weil Martins Chef sowas nicht duldet. Ohne Wenn und Aber.

Ich selber arbeite in einem Haus, in dem täglich viele Nationen ein-und ausgehen, weil wir eben auch einiges Beratungsstellen unter unserem Dach haben.

Und in Hamburg erlebe ich sehr selten Rassismus im Alltag, beim Bäcker, im Supermarkt oder sonstwo. Geben tut es ihn natürlich auch und auch hier sitzt die AfD in der Bürgerschaft.

Ich bin mir relativ sicher, das morgen und auf folgenden Demos in Hamburg viele Menschen zusammenkommen, die sich gegen die Rechten stellen werden. Und dennoch ist das natürlich kein reines Ost-Problem. Dortmund hat ebenfalls eine sehr aktive und sehr aggressive Nazi-Szene, um nur ein westdeutsches Beispiel zu nennen. Es geht hier auch nicht um Sachsen-Bashing, ich selber habe dort großartige Menschen kennengelernt. Das Sachsen da aber ein besonderes Problem hat, lässt sich nun mal nicht leugnen. Sachsen hat vor allem ein Problem in Politik und Justiz. Politiker, die gar nicht, oder zu spät reagieren, die negieren, relativieren oder leugnen.
Ich lebe ja nicht mehr in Sachsen und ganz ehrlich, ich bin froh drum. Ich hätte inzwischen auch Angst, nicht wegen meines Aussehens, aber wegen meiner Einstellung.

Aber ich könnte mich wehren, ganz anders als dieses Kind. Dieser Blogbeitrag ist erschreckend und macht auch hilflos. Aber genau das ist es, was wir nicht sein dürfen. In Leipzig habe ich ja selber erlebt, was passiert, wenn wir, die wir mehr sind, das auch deutlich zeigen. Irgendwann hat Legida aufgegeben, durch Leipzig zu laufen, weil die Gegenproteste meistens größer waren. Leider schweigen immer noch viel zu viele.

Und nein, wer hinter Nazis herläuft, sich grölenden, Hitlergrußzeigenden Hetzern anschließt, kann nicht für sich reklamieren, lediglich seiner Wut Ausdruck verleihen zu wollen. Wer sein Ärmchen in die Höhe reckt, seinen blanken Arsch in die Kamera hält, der trauert nicht, der ist nicht besorgt, der ist einfach nur hohl in der Birne und das hat nichts mit dem demokratischer Auseinandersetzung zu tun.

Ich fühle mich auch manchmal hilflos, die Frage kommt auf, was können, was müssen wir tun? Alleine geht schon mal gar nichts. Sich vernetzen, sich engagieren… und ich erwische mich bei der Frage, wann ich das tun soll.

Hoffnungsvoll stimmt mich, das gerade heute in Leipzig die Züge nach Chemnitz rappelvoll sind, Es gehen nicht alle mit einem mit… aber die Pöbeleien und Angriffe auf die Presse gehen schon wieder los, OHNE das die Polizeit eingreift. Ich verfolge das Geschehen auf Twitter und im Livestream der LVZ

Ich hoffe, die Proteste bleiben friedlich und es kommen viele, die zeigen das wir mehr sind. Bildschirmfoto zu 2018-09-01 15-36-29.pngUnd nichtsdestotrotz dreht sich das Leben weiter, es ist unser vorletzter freier Tag, den wir mehr oder weniger faulenzend genießen. Einen Pflaumenkuchen habe ich gerade noch in die Röhre geschoben, heute abend gibt es lecker Fisch mit Bratkartoffeln und Salat.

Morgen ist dann die hoffentlich große Demo der Aktion Seebrücke hier in Hamburg. Und Montag geht der ganz normale Wahnsinn für uns wieder los.