Zwiegespalten

Einerseits finde ich es schon richtig, das Berlin die Demo der sog. Corona-Gegner verboten worden hat. Andererseits ist das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit ein hohes Gut. Komisch, als die Kundgebungen zum Gedenken an den Anschlag in Hanau verboten wurden, gab es keinen solchen Aufschrei, wie es ihn jetzt gibt. Unter´m Strich finde ich das Verbot richtig, weil es klar ist, dass sich die Versammlungsteilnehmer*innen größtenteils nicht an die Auflagen halten werden. Das ist ja quasi Teil des Demoaufrufes. Fraglich ist dennoch, ob man nicht die Demo hätte genehmigen sollen und sie dann wegen Verstoßes gegen die Auflagen beenden. Denn eines ist auch klar, das Geschrei bei den Aluhüten ist groß, wenn auch bar jeder Kenntnis von Verfassungsrecht und meist völlig unsachlich. Heute wird nun die Berliner Versammlungsbehörde angeblich mit Demo-Anträgen geflutet. Demos muss man nur anmelden, sie sind nicht genehmigungspflichtig. Allerdings hat die Polizei Berlin klug gehandelt, und nicht nur die Demo am 29. verboten, sondern auch gleich alle „Ersatzveranstaltungen“. Trotzdem wird natürlich so die Verwaltung erstmal lahm gelegt.

Stellvertretend für viele Medien, die sich kritisch mit dem Demoverbot auseinandergesetzt haben, möchte ich hier auf einen verlinken: Demoverbot in Berlin: Heikel, aber richtig.

Kritische Auseinandersetzungen finden sich aber auch in der Zeit, der Süddeutschen und anderen Zeitungen.

Und eine lesenswerte Ausführung ist hier zu lesen: Dummonstrationsrecht:

Es ist daher auch gequirlte Kacke, wenn die Corona- oder Coronamaßnahmenleugner lautstark durch die Städte ziehen und behaupten, sie würden in ihrer Meinungsfreiheit eingeschränkt. Die Tatsache, dass sie demonstrieren dürfen, belegt schon das Gegenteil. Und auch inhaltlich gibt es keine großartigen Einschränkungen dessen, was man auf die Straße tragen darf, solange es nicht die Leugnung des Holocaust oder die Verherrlichung des Nazitums sind.

Das bedeutet nun aber gerade nicht, dass gewalttätige Unzufriedene im Rahmen einer Demonstration eine Stadt in Schutt und Asche legen, Autos anzünden, Steine oder Molotowcocktails auf Polizisten werfen, Pressevertreter bedrohen oder gegen die angeordneten Auflagen verstoßen dürfen. Gewährleistet ist die Demonstrationsfreiheit ja nur für friedliche und unbewaffnete Demos. Straftaten bleiben Straftaten, auch wenn sie im Rahmen einer Demonstration begangen werden. Die Polizei muss also nicht tatenlos zusehen, wenn Straftaten begangen werden; sie muss aber auch nicht jede Kleinigkeit verfolgen, wenn ein Eingreifen ersichtlich zu unverhältnismäßiger Eskalation führen würde. Wenn nun allerdings tausendfach gegen die Abstands- und Maskenauflagen verstoßen wird, dann sollte die Polizei dort aus meiner Sicht einmal genauso die staatlichen Erfrischungsgeräte einsetzen, die sie sonst schon so gerne benutzt, wenn ein paar Vermummte sich in einer Demo befinden.

Dummonstranten

Auch wenn die Demonstranten eher Dummonstranten sind: Es steht jedem frei zu demonstrieren und sei es auch nur, dass er etwas merkwürdig ist, an etwas merkwürdige Dinge glaubt oder nicht zählen kann. Es steht auch jedem frei, sich völlig zu entblöden und zu behaupten es gäbe Echsenmenschen, die eine neue Weltordnung herbeiführen möchten oder Milliardäre, die jedem einen Chip einimpfen oder ihn mit Masken versklaven wollten.

Es steht aber auch jedem frei, über schwachsinnige Behauptungen – wie z.B. die, am letzten Wochenenden hätten nicht 20000 sondern 1,3 Millionen in Berlin demonstriert – zu berichten oder auch nicht. Nein, man muss über so einen absurden Quatsch nicht berichten. Man muss auch nicht über die Demonstrationen selbst ausufernd berichten. Ein Satz, dass eine bunte Mischung von Homöopathen, Unsympathen und Psychopathen mit einer extremen Zählschwäche auf der Straße waren, um für ihr vermeintliches Recht, andere Menschen zu infizieren und selbst vom bösen Big Pharma unbehandelt zu sterben, demonstriert haben, reicht. Es wäre ein Fehler und hat nichts mit korrekter Berichterstattung zu tun, wenn man noch dem letzten Antisemiten unter den Teilnehmern ein Mikro unters nackte Gesicht halten würde, damit er er etwas infektiös Gemeines über die so verachteten Mainstreammedien husten könnte. Und nein, wir müssen uns nicht den armen, verpeilten, besorgten und bekloppten Bürgern zuwenden, wir müssen ihnen sowenig zuhören, wie wir das bei Pegida und AfD mussten.

Wir müssen weder mit Rechten reden noch mit esoterisch durchgeknallten Wissenschaftsverächtern, verschwörungsnarrativ raunenden Truthern oder Menschen, die Kloreiniger für ein tolles Medikament und Masern für eine erstrebenswerte Krankheit halten. Kein Wort müssen wir mit denen reden. Es spricht nichts dagegen, wenn diese stabilen Genies, die sich bevorzugt aus alternativen Medien informieren, ganz uninformiert und isoliert ihr Recht auf Freiheit der Person ausleben, sich im Anschluss mit einem seligen Lächeln auf den Lippen an was auch immer erkranken und sich dann auch ganz real aus der Realität verabschieden. Meinen Segen haben die genauso wie den der Verfassung. Niemand ist verpflichtet vernünftig zu sein, und niemand muss der Wissenschaft folgen. Der böse, böse Mainstream muss nur darauf achten, dass er sich nicht bei denen ansteckt. Und das muss nicht nur der böse Medienmainstream, sondern auch der wachsame Staat, dessen Werte seine Feinde zwar so gerne für sich in Anspruch nehmen, den sie aber abgrundtief hassen und den sie gerne durch totalitäre System ersetzen würden. Letzte Woche erzählte mir noch eine Freundin, sie wünschte sich wieder in die 80er zurück. Da sie aus der DDR kam, fragte ich scherzhaft, ob mit Stasi und Mauer, und zu meinem Erstaunen antwortete sie, beides hätte sie nie gestört. Es wäre mehr Freiheit gewesen als in der BRD. Ja, wie sagte schon so mancher Opa und manche Eva, es war nicht alles schlecht beim Führer, sofern man selbst nicht betroffen war.

Man muss sauber trennen, hier nicht einfach nur zuzustimmen, weil einem die Demo als solches zuwider läuft. Denn es geht hier nicht um den Inhalt, sondern um das Grundrecht der Versammlungsfreiheit. Ich gehe davon aus, das hier letztlich das Bundesverfassungsgericht entscheiden muss, da alle Beteiligten angekündigt haben, den Instanzenweg zu beschreiten, auch das ein rechtstaatliches Prinzip. Und das BVerfG entscheidet aufgrund bestehender Gesetze. Auch das wird gelegentlich gerne verkannt und dann wird geschimpft (z.B. beim Urteil zum Containern) und verkannt, dass es Sache des Gesetzgebers ist, Dinge zu regeln. Gesetze kann man dann wiederum auch überprüfen lassen, aber es ist schlicht falsch, das BVerfG anzugreifen. Natürlich bin ich auch für die Straffreiheit von Containern, aber das ist nicht Sache des Gerichts. Hier gehören andere in die Pflicht genommen.

Der Gründer der „Querdenken711“-Bewegung verkündete am Mittwoch, dass sämtliche Versammlungen wie geplant stattfinden werden. Man wolle vor dem Bundesverfassungsgericht klagen.

Auch am Plan, ab Sonnabend für zwei Wochen die Straße des 17. Juni zu blockieren, soll festgehalten werden. Jürgen Elsässer vom rechtsextremen „Compact“-Magazin geht davon aus, dass „dieses Verbot juristisch zurückgeschlagen werden kann“. Er hält den Sonnabend für den „wichtigsten Tag seit 1945“.

AfD-Politiker kündigen für das Wochenende eine Demonstration gegen das Demonstrationsverbot an, andere Corona-Skeptiker wollen am Donnerstagnachmittag auf dem Breitscheidplatz protestieren.

In zahlreichen Gruppen des Messengerdienstes Telegram rufen Anhänger dazu auf, massenhaft nach Berlin zu reisen und sich über das Demonstrationsverbot mit Gewalt hinwegzusetzen. Eine Ansammlung von mehreren Millionen Menschen könne nicht von der Polizei aufgehalten werden – und wo es keine angemeldete Demonstration gebe, müssten auch keine Auflagen beachtet werden.

Einige Aktivisten rufen zum Sturz der Bundesregierung und zum „Sturm des Reichstags“ auf. Um das eigene Recht durchzusetzen, sei auch der Einsatz von Waffengewalt akzeptabel. Dies sei Notwehr. Im Zweifel sei es nötig, Polizisten zu lynchen.

Die Verantwortlichen des Verbots solle man vor dem Reichstag „im Namen des Volkes hinrichten“. In einer anderen Gruppe heißt es, das „Gesindel“ der Politiker müsse verhaftet und in Konzentrationslager gebracht werden.

Als Schuldige für das Verbot werden „das Merkel-Regime“, geheime Eliten im Hintergrund oder „die jüdische Mafia“ ausgemacht.

Quelle: Tagesspiegel.de

Ich bin gespannt, was da noch kommt und hoffe inständig, das es nur bei verbalen Entgleisungen bleibt. Aufrufe zum Sturm des Reichstages sind ja meistens nur Drohungen, die diese Maulhelden dann doch nicht wahr machen.

Aber man gucke sich gerne mal genau an, wer da so den Hals aufreisst… jeder, der meint, es würden keine Nazis dabei sein, hat in meinem Augen den Schuß nicht mehr gehört. Genauso wenig, wie diejenigen, die auf Herren wie Wodarg, Bhakdi, Köhnlein, Schrang, Wolff, Spitzbart, Buttar, Montagnier, Jebsen „hören“, die in diesem sehr ausführlichen Artikel auf´s gründlichste widerlegt werden.

Aber nichts destro Trotz, bei aller Kritik und bei allem Unverständnis für die Demoaufrufe, es ist und bleibt ein Grundrecht. Und wie gesagt, in Hanau hat niemand gezetert… warum eigentlich nicht? Weil es da „nur“ gegen rechte Gewalt ging, gegen Rassismus und um das Gedenken der Opfer rassistischer Anschläge.

5 Anmerkungen zu “Zwiegespalten

  1. Viel zu lesen – zweifellos.
    Wobei ich eine Aussage sehr wichtig fnde – nämlich die im ersten Zitat, dass man den ganzen Spinnern nicht auch noch dadurch huldigen sollte, dass man ihnen ein Mikrofon unter die unbedecke Nase hält.
    Totschweigen könnte da wirklich die Lösung sein, um denen ein Stück weit das Wasser abzugraben. (und natürlich konsequente juristische Verfolgung aller Verstösse gegen die geltenden Regeln)

    1. Das wird leider nicht passieren. Der unsägliche MDR hat ja sogar Herrn Höcke einen Single-Bühne gegeben. Und auch andere Medien werden sich immer wieder auf diese Honks stürzen

  2. Ich hoffe auch sehr, dass es nur bei den mittlerweile gewohnten verbalen Entgleisungen bleiben wird. Die Entscheidung, die Demo oder besser Dummo in Berlin zu verbieten, halte ich auch für eher unglücklich. Sie zuzulassen und dann wegen ungezählter Verstöße gegen die Corona-Auflagen aufzulösen wäre meiner Meinung nach auch der richtigere Weg gewesen. Der Unterschied in den Reaktionen auf das Verbot der Demo in Hanau und auf das in Berlin ist erschreckend.

    1. Letzteres erschreckt mich auch. Selbst hier in Hamburg hat man eine Demo zum Gedenken an die Opfer von Hanau nicht losgehen lassen, obwohl sich alle an die Regeln gehalten haben.

Leider keine Anmerkung mehr möglich.