Tief erschüttert

Wir haben uns gestern die Doku im Ersten (leider zeitgleich zum Film Wannseekonferenz, den wir dann in der Mediathek gucken werden) über die Aktion OutInChurch- Wie Gott uns schuf gesehen. Es war auch jemand dabei, den ich sehr gut kenne.

Auch wenn vieles nicht neu war (die Haltung der Katholischen Kirche), hat mich doch tief erschüttert, wie sehr sich diese Kirche erdreistet, in das Leben der Menschen einzugreifen. Da wird einer schwangeren zwei Monate vor der Geburt ihres Kindes ein Auflösungsvertrag hingehalten, weil sie mit einer Frau zusammen lebt und den Vater des Kindes nicht heiratet, da leben zwei Frau 40 Jahre in einem Spagat zwischen ihrer Liebe, die sich nicht öffentlich machen können und den Anforderungen „ihrer“ Kirche. Sie suchen sich Arbeitsplätze weit weg von ihrem Wohnort, damit ja nix rauskommt.

All die Menschen, die sich in diesem Film geoutet haben, riskieren ihren Job, eine hatte sogar Angst um ihre Rente.

Natürlich kann man sich fragen, warum bleiben diese Menschen in der Kirche, arbeiten für sie und entscheiden sich ganz bewußt dafür. Es sind alles gläubige Katholiken, die ihren Glauben nicht aufgeben wollen und können und die sich trotz allem als Katholiken fühlen. Ich wage mal die These, dass das alles engagiertere Katholiken sind als die Sonntagskirchengänger. Sie fühlen sich für ihre Berufe berufen und ganz ehrlich, ist es nicht wurscht, ob ein Priester nun hetero-oder homosexuell enthaltsam leben muss? (Ein Thema für sich, der Schwachsinn des Zölibats)

Mich hat der Film tief erschüttert und ich hoffe, es geht ein Beben durch die Katholische Kirche. Ich selber bin evangelisch und arbeite auch für die Kirche und ich tue es tatsächlich gerne. Mein Chef ist homosexuell, ich kenne etliche Pastoren (Pfarrer), die es ebenfalls sind und zum Glück kräht da hier kein Hahn nach. In Sachsen und Baden-Württemberg ist das aber ganz anders. Da ist Homophobie noch sehr verbreitet, auch in der Evanglischen Kirche. In Sachsen dürfen schwule Pfarrer nicht mit ihrem Mann im Pfarrhaus leben (gilt für Frauen vermutlich auch), in Baden-Württemberg sind die Pietisten stark vertreten und die sind auch reichlich homophob unterwegs. Ich habe das beim Kirchentag selbst erlebt. Die haben geschäumt, als das traditionelle Gedenken zu Beginn, mit dem jeder Kirchentag startet, den homosexuellen Opfern der Naziherrschaft gewidmet war.

Was mich wirklich erschüttert hat, ist, wie tief die Kirche in das Leben der Menschen eingreift und das moralisch und mit ihrem Kirchenrecht durchsetzt. Letzteres gehört schon lange abgeschafft. Warum äußert sich eigentlich niemand aus der Politik über das, was da passiert. Da haben Menschen Selbstmordgedanken, weil sie psychisch am Ende sind. Das ist nun christliche Nächstenliebe? Da kommt mir der Kaffee wieder hoch, aber sowas von.

Die Politik ist wohl zu feige, sich hier mal klar und deutlich zu positionieren.

Ich wünsche den mutigen Menschen, die sich in diesem Film gezeigt haben, dass sich was bewegt und das dieser Film aufrüttelt und verändert.

30 Anmerkungen zu “Tief erschüttert

  1. Ja, es ist wirklich ein Drama mit dieser Kirche und ihren überkommenen Wertvorstellungen aus dem Mittelalter, die oft überhaupt nichts mit dem zu tun haben, was die Bibel wirklich sagt. Das wurde auch gestern wieder sehr deutlich, wenn man sich die Geschichten der Betroffenen ansah.

    Und Du hast sicher Recht mit der Feststellung, dass seitens der Politik dazu endlich mal ein Machtwort und auch Taten angesagt sind – nicht nur wegen der Diskriminierung der Betroffenen und der eklatanten Verstösse gegen das Arbeitsrecht, die in vielen Punkten unserer Gesetzgebung zuwider laufen.
    Deshalb ist es auch sehr mutig, dass diese Menschen sich jetzt so offen gezeigt haben – und man kann nur hoffen, dass sie damit eine richtig grosse Welle lostreten, die schlussendlich (und hoffentlich bald!) eine Veränderung in die richtige Richtung bewirkt….

    1. Viele der Missstände (Missbrauch und anderes) sind ja in Regierungszeiten der CDU gefallen, die die Bedeutung des Buchstaben C vielleicht ändern sollten.
      Tja, warum äußert sich die Politik nicht? Weil es wohl eine strikte Trennung von Kirche und Staat gibt. – In der DDR hatte das mit der Politik viele Vorteile – doch jetzt sollte man endlich einführen, dass der Staat die übelsten Sachen der Kirche ahnden und verbieten darf.
      Wunschtraum?!?!?!?

  2. Ich glaube nicht daran, dass sich bei der katholischen Kirche viel ändert. Was ich ganz und gar nicht verstehe ist, dass diese Kirche ein eigenes Arbeitsrecht hat das dem allgemeinen Arbeitsrecht und den Menschenrechten sehr widerspricht. Und ob unsere Politik da wirklich endlich mal einschreitet???
    Es ist erschreckend und traurig, dass diese Menschen sich so sehr verleugnen müssen.

    1. Ich bin mir nicht so sicher, ob die Kirche wirklich so gar nicht reagieren kann. Es gibt ja auch inzwischen Priester, die sich offen auflehnen und homosexuelle Paar segnen. Zumindest für Deutschland sehe ich schon eine Chance, dass sich was tut. Für die katholische Weltkirche sieht es sicherlich anders aus. Da muss man nur z.B. nach Polen gucken.
      Und letztlich kann auch die Kirche sich nicht unendlich viele Austritte leisten. Irgendwann wird das richtig teuer und in Köln bekommt man vor lauter Andrang zum Austritt keinen Termin vor April.
      Und vielleicht reagiert man ja auch mal endlich in der Politik. Schließlich werden viele dieser Stellen staatlich und nicht kirchlich finanziert.
      Und in der Kirche regt sich einiges, natürlich von unten wie die Initiative Maria 2.0. Aber auch der Synodale Weg ist ein Versuch von Reformen.

    2. Die Kirche hat ein eigenes Arbeitsrecht, weil das (noch zu Bismarcks Zeiten) in einem Vertrag (dem sogenannten Konkordat) so geregelt wurde, der die Trennung kirchlicher und staatlicher Aufgaben regeln sollte – mit einer weiteren Ausgestaltung in Zeiten der Weimarer Republik

      Dabei wurden (neben Bildungsaufgaben und Arbeitsrecht) auch noch viel andere Dinge geregelt – z.B. wurde auch die Kirchensteuer damit eingeführt und eine staatliche Finanzierung vieler kirchlicher Aufgaben vereinbart. Bis hin zu den Beamtengehältern der katholischen Bischöfe und weiterer Würdenträger , die immer noch vom Staat (also von uns allen) bezahlt werden….

      Und genau da liegt das Problem, denn diese Konkordanz ist eine zwischenstaatliche Vereinbarung, die quasi für alle Ewigkeiten gilt und nie wirklich verändert wurde.
      Und leider ist unsere Bundesrepublik als Rechtsnachfolger des Kaiserreiches und der Weimarer Republik daran immer noch gebunden, auch wenn sie nicht mehr zeitgemäss ist und in manchen Teilen (beispielsweise auch beim Arbeitsrecht) dazu führt, dass da mit zweierlei Mass gemessen wird…

  3. Als Katholikin schmerzt mich vieles was passiert ist und teilweise weiterhin ?? jetzt erst bekannt wird sehr.

    Vor allem, wenn man -wie ich- in einem guten katholischen Umfeld aufgewachsen ist. Das bedeutet gleichzeitig, dass ich vieles sehr kritisch sehe.

    Glücklicherweise haben wir keine persönlichen negativen Erfahrungen gemacht
    die Menschen aus meinem katholischen Umfeld und ich.
    Zum Beispiel hatte ich persönlichen Einzel-Beicht-unterricht weil ich in dem Zeitraum als meine Gruppe zur ersten Beichte ging im Krankenhaus lag.
    Über diese Zeit habe ich im Erwachsenenalter noch mal sehr ausführlich nachgedacht ‚es ist nichts passiert‘ was in irgend einer weise nicht komplett kindgerecht gelaufen ist. Als das alles bekannt wurde habe ich gedacht: vielleicht hab ich irgend etwas verdrängt -NEIN, dem ist nicht so. Scheinbar ist hier in der Stadt nichts geschehen, jedenfalls ist nichts dazu bekannt.

    Auch ich habe gestern Abend ARD geschaut. Wie gut, das viele Menschen mutig genug waren sich zu outen.

    „VIELES IN DER KATH. KIRCHE IST NICHT GOTTGEWOLLT – DA BIN ICH SICHER“

    ES MUSS sehr viel passieren in der katholischen Kirche.

    Es ist unmöglich, dass es in Deutschland ein separates Kirchenrecht gibt.

    1. Es waren und sind ja nun nicht alle Priester pädophil. Insofern muss Deine Erinnerung Dich da nicht trügen. Schlimm ist eben, wenn sie es waren oder sind, sind sie mal kurzerhand versetzt worden und konnten an anderem Ort weitermachen, ohne jemals zur Verantwortung gezogen worden zu sein.

          1. Nein bist Du nicht.
            Ich bin sehr traurig über die Entwicklung der Katholischen Kirche. Es bedrückt mich, dass die „Kirchenfürsten“ keinen Schritt vorwärtskommen. Nein, die schlafen in ihren langen bunten Gewändern.
            Könnte mich in Rage schreiben
            Unfehlbar ist kein Mensch – auch der Papst ist ein Mensch.

            Ich habe so einen schönen Facebooklink weiß aber nicht, ob ich den hier einsetzen darf.
            Da geht es um ein Gespräch mit Gott.
            Ich schicke den Link mal auf Eure Mailanschrift. Möglicherweise setzt Du später den Text hier ein?

  4. Du hast so etwas von Recht mit deiner Empörung, mit deiner Wut und und und.
    Nicht nur die unheimlich vielen Missbrauchsfälle sind es, die mich ganz ernsthaft an der Institution Katholische Kirche zweifeln lassen, sondern auch ihre vollkommen veraltete Ansicht über die Liebe zwischen den Menschen.
    Ich habe Ausschnitte gesehen, mich dann aber für den „größeren Ärger“ entschieden und die Wannseekonferenz gesehen. Das war ja dort alles um 100 mal noch schlimmer, denn dort hat es nicht nur Arbeitsplätze gekostet, sondern Millionen Leben.
    Meine Nichte hat die Härten eines katholischen Arbeitgebers kennen gelernt. Ihr Mann war Chefarzt oder nur Chefchirurg in einem konfessionellen Haus – und sie wurden zu einer katholischen Trauung gezwungen, obwohl sie das nicht wollten.
    Ich denke, viele Faux pax (oder wie man das schreibt) können sie sich nicht mehr leisten und ihre Altpäpste sollten sie besser im Zaum halten, damit die nicht so vielen Schwachsinn reden.
    Sehr unerfreuliches Thema, aber dennoch liebe Grüße zu dir/euch

    1. Erfreulich ist das Thema wahrlich nicht. Wenn sie Schwachsinn reden ist das eins, aber das keiner von denen zur Verantwortung gezogen wird, ist auch unfassbar.
      Ich kenne auch Leute, die heiraten mussten oder es nicht durften, weil der Partner evangelisch ist. Auch das gibt es immer noch. Meine Ex-„Schwiegereltern“ durften nur heiraten, wenn sie versprachen, die Kinder katholisch zu erziehen und natürlich taufen zu lassen. Wiederverheiratete haben auch keine Chance auf eine Stelle. Es ist hanebüchend, wie die Kirche meint, das Leben der Menschen bestimmen zu dürfen. Da bleibt man lieber unglücklich zusammen, weil es ja gegen die Kirche ist, wenn man sich scheiden lässt… Das alles ließe sich ja endlos fortführen.
      Die Wannseekonferenz werden wir uns noch in der Mediathek angucken.

      1. Ich komme gerade vom Fernsehsessel und habe mir die Dokumentation angesehen – ich hatte schon Angst um meine Zähne, weil ich aus Wut so oft mit den Zähnen geknirscht habe.
        Mich hat am meisten erschüttert, wie die Mitarbeiterin 14 Tage vor dem Schwangerschaftsurlaub zu einem Aufhebungsvertrag „gezwungen“ wurde.
        Und dann fand ich es so typisch, dass von den fast 30 Bischöfen nur einer auf die Anfrage der Filmemacher reagiert. Feige sind sie auch noch, diese altehrwürdigen Arbeitgeber und Kirchenlenker. – Einen ganz kleinen Hoffnungsschimmer bringt die Bemerkung vom aktuellen Papst (nicht von dem ausgedienten deutschen), aber es wurde ja gesagt, dass das konservative Lager so viel größer ist als das, das zu Veränderungen bereit ist. – Und in den erzkatholischen Ländern tritt auch keiner aus der Kirche aus, weil Homosexualität nicht geduldet oder anerkannt wird und wenn der Gemeindegeistliche mal ein paar Jungen oder Mädchen in die Geheimnisse der körperlichen Liebe eingeführt hat, auch wenn die dafür eigentlich noch viel zu jung waren. Kotzkotzkotz!

        1. Ja, die Geschichte mit der schwangeren Frau fand ich auch heftig. Aber auch die beiden, die seit 40 Jahren ein Paar sind. Alle Geschichten waren auf ihre Weise heftig und diese Eingriffe der Kirchen gehen tief in die Psyche der Menschen.
          Die Weltkirche wird sich so schnell nicht ändern, aber die deutsche katholische Kirche könnte ja mal einen Anfang machen.

          1. Soweit mir bekannt ist, brauchte es 80 Jahre an Protesten, bevor die Fraurn in Grossbritannien wählen konnten.
            Insofern erwarte ich mir wenig bis nichts, dass sich da was ändert.

          2. @Gerhard:
            Da gab es aber auch noch keine sozialen Medien, über die sehr schnell (nicht nur zu diesem Thema) massiver Druck gegen die katholische Kirche aufgebaut und auch länger aufrecht erhalten werden kann.
            (auf Neudeutsch also ein Shitstorm, der sich gewaschen hat. https://heimathafen-elbinsel.de/wp-content/plugins/wp-monalisa/icons/wpml_good.gif)
            Und dafür könnten FB, Twitter, Instagram & Co wirklich hilfreich sein, auch wenn ich sonst (ausser von Twitter) wenig davon halte…

            Was zumindest für die deutschen Bischöfe sehr, sehr unangenehm werden könnte. Und die werden einen Teil des Druckes auch nach oben (also nach Rom) weitergeben – je mehr, je schlechter die öffentliche Meinung zu dem Verein hier wird.
            Dabei bleibt zwar zu bezweifeln, ob der Vatikan sich bewegt – aber es könnte vielleicht in einigen Punkten zumindest zu einem deutschen Sonderweg führen – gegen vatikanische Dogmen.

          3. Gerhard, ich habe da durchaus Hoffnung. Die Zeit ist einfach reif. Wenn der Druck zu groß wird, müssen sie sich bewegen. Ihnen laufen in Scharen die Gläubigen weg und je weniger Mitglieder die Kirchen haben, je mehr schwindet auch ihre gesellschaftliche Macht, die sie ja behalten wollen

  5. Ich stelle mal den Text hier mit ein, zu dem Christel mir den Link geschickt hat. Der führt zu FB und da ist nicht jeder.

    Zeit, diese Geschichte von 2019 wieder hervorzuholen:
    Du bist so still in letzter Zeit, sagt Gott. Oh, du bist da, sag ich. Gott hatte neben dem Kaffeeautomat gestanden und vergeblich nach Kleingeld gekramt, als ich gerade mit meiner Tasse angekommen war. Willst du auch einen Espresso? frag ich. Sehr gern, sagt Gott. Einen doppelten. Danke. Neben der Kaffeebar liegt die Zeitung aus, auf der Titelseite ein Kind in Messdienergewand und die Überschrift „Niemand hätte mir geglaubt“.
    Du bist so still in letzter Zeit, sagt Gott noch einmal. Was soll ich auch noch sagen, sag ich, und deute auf die Zeitung. Und in welcher Sprache bloß. Wie meinst du das?, fragt Gott. Katholisch ist meine religiöse Muttersprache, sag ich. Katholisch ist die Sprache, in der ich mit dir reden kann. Und jetzt geht das vielleicht nicht mehr. Gott schweigt. Erinnerst du dich noch, als ich in Israel in der Schoah-Gedenkstätte war? frag ich. Ja, sagt Gott. Wie auch nicht. Weißt du noch, frag ich, wie ich die Ausstellung mit den Bildern angeschaut habe, auf denen die Plakate und Banner der Nazis gegen Juden zu sehen waren, und unter den Bildern standen die Übersetzungen? Und wie erschrocken ich war, als ich gemerkt habe, dass alle Leute um mich herum die Übersetzungen gelesen haben, nur ich brauchte das nicht, denn die Sprüche auf den Plakaten, das war ja meine Muttersprache? Ja, sagt Gott. So ist das jetzt auch, sag ich.
    Weißt du was, sagt Gott nach einem Moment und nimmt mir meine Kaffeetasse aus der Hand. Du brauchst jetzt wohl mal meine. Gott tauscht unsere Kaffeebecher aus. Oh, dein Lieblingskaffeebecher, sag ich. (Das ist der Kaffeebecher von der Tombola beim Feuerwehrfest mit der Aufschrift „Wenn’s mal brennt“.) Ja, sagt Gott. Das ist vielleicht ein Anfang.
    Kann man eine Sprache noch verwenden, die so viel Leid verbirgt?, frag ich. Genauso kannst du auch fragen, ob man eine Welt im Dasein halten kann, auf der so viel Leid geschieht, sagt Gott. Und, kann man? frag ich. Ja, sagt Gott leise, aber es ist schwer. Und dann ist es auch noch ausgerechnet deine Kirche, sag ich. Ja, sagt Gott. Aber ich wollte mich euch doch zeigen. Ich hatte so eine Sehnsucht danach, dass ihr wisst, dass ich da bin. Ich wollte so gerne bei euch sein. Ich wollte in eure Worte und Zeichen kommen, ganz nah.
    Aber die sind nur für Männer, sag ich. Boah, nicht schon wieder, sagt Gott. So hab ich das nie gesagt und nicht gemeint, ey. Das weißt du doch. Ja, das wissen ganz viele, sag ich. Aber das zu wissen, ändert nichts. Wir dringen nicht durch. Und jetzt das. Ich stelle Gottes Lieblingskaffeebecher neben die Zeitung. Jetzt gibt es Menschen bei uns, deren Seelen sind an deiner Kirche zerbrochen, sag ich. Weil sie deinen Leuten vertraut haben. Wie soll ich denn da nicht still werden. Meine Kirche, sagt Gott leise. Ja, sag ich. Und meine. Und jetzt das. Was machen wir denn jetzt, sag ich. Ich weiß nicht, sagt Gott. Aber ich glaube, nur still werden geht auch nicht. Wer soll denn sonst für die sprechen, die nicht mehr selber sprechen können, wenn nicht ihr. Da hast du wohl recht, sag ich nach einer Pause. Wenn ihr schon still werdet, sagt Gott, dann so, dass es alle hören. Oder zumindest die, die glauben, nichts ändern zu dürfen.
    Ich gebe Gott den leeren Kaffeebecher zurück. Danke, sag ich. Ach, sagt Gott. Ich sag heute mal nicht „Bis bald mal wieder, und Amen“, ok? Mir ist heute nicht danach. Ja, sag ich. Gott wendet sich zum Gehen. Aber so wird es nicht bleiben, sagt Gott. So nicht. Nein, sag ich. Du vergisst das nicht, oder, sagt Gott. Nein, sag ich. Mach ich nicht. Aber ob ich auf katholisch noch werde beten können, das weiß ich noch nicht. Ja, sagt Gott. Das versteh ich. Solange du nicht vergisst, dass ihr nicht alleine seid. Hab es gut. Du auch, sag ich. Und Amen.
    ***
    Die Geschichte ist Teil des Buches geworden, das der Echter Verlag GmbH für Montag (24.01.2022) angekündigt hat.
    Von Annette Jantzen

  6. Ich habe mir beide Dokus nicht angesehen. Mir geht das zu nahe. Was die Wannseekonferenz betrifft, habe ich mich lange mit dem Thema beschäftigt und kann es nicht mehr ertragen. Die, die das sehen sollten, sehen es nicht und verharmlosen das dritte Reich sowieso. Ich bin am Wochenende durch unsere Straße gegangen und habe, an manchen Stellen recht mühsam, Aufkleber entfernt. Darauf stand: Antifaschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen. Und was die Kirche betrifft, habe ich das im engsten Freundeskreis ja miterlebt. Die Liebe zwischen meinem besten Freund und dem katholischen Priester blieb auf der Strecke. Vielleicht bin ich aber auch gerade in einem Tief, das nicht noch tiefer werden darf,
    Den eingefügten Text werde ich aber noch lesen.
    Liebe Grüße,
    Elvira

    1. Mich hat die Doku interessiert, zumal ich einige Beteiligte persönlich kenne. Aber ich verstehe auch, wenn man das nicht ertragen kann. Obwohl es ja nicht neu ist, wie die kath. Kirche mit Homosexuellen umgeht, hat es mich doch erschüttert, wie tief das in die Leben der Menschen eingreift. Und ich finde es mutig, dass sie diesen Film gemacht haben, zum Teil nicht wissend, welche Konsequenzen das für sie hat.
      Mit der Nazizeit beschäftige ich mich, seit ich denken kann. Dafür hat schon mein Großvater gesorgt. Manchmal kann ich es auch nicht ertragen, vor allem nicht, dass es für viele Menschen kein Thema mehr ist und sie nicht sehen wollen, was hier schon lange nicht mehr nur aufkeimt. Letzten Samstag sind ca. 50 erkennbare Neonazis auf einer Corona-Demo mitgelaufen und keinen hat´s gejuckt. Du hast sicherlich recht, die, die sowas sehen sollten, tun es nicht, aber um so wichtiger ist es, das Menschen wie wir wachsam bleiben und nicht vergessen. Vielleicht ist für manchen da auch so ein Film hilfreich.

  7. Auch wenn wir eine (angeblich) säkulare Gesellschaft sind, gibt es doch ein einheitliches recht für alle – ohne Rücksicht auf Geschlecht, Religion, Alter etc. Sie würden doch auch ziemlich auf die Barrikaden gehen, wenn man sie auch nicht-katholischen Veranstaltungen ausschließen würde.

Leider keine Anmerkung mehr möglich.