„Klima-Kleber“

Beknacktes Wort, aber das nur nebenbei. Zur Zeit blockieren sie in Hamburg alle naslang wichtige Zufahrtsstraßen. Gestern auch wieder. Sogar mit Rollstuhl. Am letzten Wochenende ist eine Situation eskaliert und wütende Auto-und LKW Fahrer haben die Aktivisten angegriffen, von der Straße gezerrt und in den Bauch getreten.

https://www.ndr.de/nachrichten/hamburg/Auf-Strasse-festgeklebt-Klima-Aktivisten-bleiben-in-Gewahrsam-,klimaprotest186.html

Natürlich wäre es albern, wenn die sog. Aktivisten kleine Sackgassen blockieren würden, genauso wie es albern wäre, einen Streik nachts um 3 Uhr auf einem Discounter-Parkplatz durchzuführen. By the way, Deutschland ist vorgestern so gar nicht zusammen gebrochen.

Ich habe ein gespaltenens Verhältnis zu der Protestform des sich auf Straßen festklebens. Einerseits kann ich die Angst der Menschen verstehen. Die hatten wir auch, als wir in den 80ern gegen den Nato-Doppelbeschluss auf die Straße gegangen sind, gegen Atomkraft und Umweltzerstörung demonstriert haben. Wir haben damals auch neuralgische Kreuzungen blockiert, allerdings ohne Sekundenkleber.

Andererseits befürchte ich, dass die, die sich auf den Straßen festkleben, damit wenig Sympathien gewinnen werden und die Situation am Samstag ein kleiner Vorgeschmack auf mögliche Eskalationen war, denn viele Autofahrer haben null Verständnis für diese Protestform. Vielleicht auch, weil sie unter Zeitdruck stehen, weil sie Ware ausliefern müssen oder pünktlich auf der Arbeit sein müssen. Und damit stellt sich mir die Frage, ob es wirklich der richtige Weg ist, für den Klimaschutz einzutreten und dabei aber den Großteil der Bevölkerung gegen sich aufzubringen. Ich selber sehe das relativ gelassen, aber wenn ich zu spät ins Büro komme, ist das auch nicht weiter tragisch. Tragischer wäre es sicherlich, wenn unsere kleine Elbinsel wegen steigender Meeresspiegel irgendwann absaufen würde. Aber wer denkt soweit?

Wenn wir uns nicht alle an Arsch und Kragen packen, dann schaffen wir es nicht, den Klimawandel aufzuhalten und die Folgen wären verheerend (das sind sie ja jetzt schon), auch für uns in unserer Wohlstandsblase. Und leider sind noch viel zu wenige Menschen bereit, ihr Verhalten, vor allem ihr Konsumverhalten, aber auch ihr Mobilitätsverhalten zu überdenken. Ich nehme mich da selber gar nicht aus. Ich steige auch ins Auto, wenn hier keine S-Bahn fährt, es wie aus Eimern schüttet oder friert, oder wir Einkäufe machen und selbst für manche Fototouren gurke ich mit der Karre durch die Landschaft, weil ich a. meistens viel Equipment mitschleppe und b. das Auto gerade für Wildlife Fotografie oft eine gute Tarnung ist. Und wenn wir nicht Auto fahren, fahren wir Roller und nicht Fahrrad. Martin kann nicht mehr Fahrrad fahren, ich mag es nicht mehr und ich gebe zu, dass wir unsere Rollertouren immer sehr genießen. In den Urlaub fahren wir auch lieber mit dem Auto, weil wir immer reichlich Fotogeraffel mitschleppen und weil es für Martin schlicht auch ohne sehr beschwerlich bis unmöglich wäre, bestimmte Ziele anzusteuern.

Wir tun sonst, denke ich, eine ganze Menge, aber Luft nach oben ist auch bei uns. Und darauf zu verweisen, die anderen aber… das kann schlicht kein Argument sein. Wir selber werden qua Alter die schlimmsten Klimaveränderungen vielleicht nicht mehr erleben, aber das die junge Generation Angst um ihre Zukunft hat, das finde ich schon mehr als nachvollziehbar.

Die Politik reagiert mit vorsorglicher Ingewahrsamnahme von Aktivisten (sehr sinnig, wie man sieht… dann machen eben andere weiter) und Polizeischutz für die Elbbrücken (konnte ich selber vorgestern beobachten…. etliche Polizeiwagen und ich dachte noch, Wunder, was da los ist, aber die Polizei steht jetzt quasi parat) und mit halbgaren Klimaschutzmassnahmen, die allesamt kaum ausreichen werden. Ich dachte heute Morgen, ich höre nicht richtig… da werden neue Autobahnen gebaut, aber mit Solarparkstreifen parallel zu den Autobahnen.

Zudem soll bei neuen Autobahnen verpflichtend die Möglichkeit zum Bau von Solaranlagen in deren Randbereich genutzt werden. 

Die Drohungen und Fristsetzungen der Klima-Aktivisten, wie es sie hier an den Senat gegeben haben, finde ich nur auch nicht wirklich zielführend.

Der am Dienstag blockierte Veddeler Damm ist vor allem eine Strecke für LKW und deren Fahrer stehen ja meistens unter mächtigem Zeitdruck. Trotzdem geht es natürlich überhaupt nicht, dass Aktivisten getreten und körperlich angegangen sind. Nur den SUV Fahrer, der seine Protz-Karre warum auch immer fährt, juckt es vermutlich eher weniger, wenn er mal ein paar Minuten warten muss. Ich muss da zwar auch lang, wenn ich zur Arbeit fahre, aber um 9 Uhr ist der Pendler-Verkehr durch.

https://www.ndr.de/nachrichten/hamburg/Hamburger-Hafen-Klima-Aktivisten-kleben-sich-erneut-fest-,klimaprotest188.html

Meine Befürchtung ist, dass es immer mehr um die Aktionsformen an sich geht und weniger um die Inhalte und dafür ist das Thema zu brennend. Wobei ich zugeben muss, dass ich auch keine Idee habe, wie man es besser machen kann. Zu Zeiten der Anti-AKW Bewegung waren mehr Menschen auf der Straße, aber zugegebenermaßen haben nicht wir, sondern hat die Katastrophe in Fukushima den Ausstieg erst möglich gemacht. Eine Katastrophe, vor der alle spätestens seit Tschernobyl Angst hatten.

Das wir keine Zeit mehr haben, steht wohl unzweifelhaft fest und ich würde mir wünschen, dass wir als Gesellschaft an einem Strang ziehen würden und das nicht erst dann, wenn uns die Elbe bis zum Hals steht. Das ist vermutlich Wunschdenken, ich weiß. Nur ob man mit permanenter Provokation weiter kommt, wage ich ehrlich gesagt auch zu bezweifeln. Aber sie tun wenigstens was und faseln nicht nur.