Angekommen

Das fühle ich mich zugegebenermaßen nicht erst seit meinem vorgestrigen 55. Geburtstag, aber es ging mir mal wieder durch den Kopf. Mal abgesehen von ein paar altersbedingten Zipperlein, fühle ich mich im Leben angekommen. Das war ja nun wahrlich nicht immer so und es hat einige Jahre gedauert, bis ich mich aus zum Teil richtigen tiefen Löchern befreien konnte.

Nicht ohne Hilfe, aber letztlich musste ich es selber schaffen. Man hat mir mal mit Ende 30 nahe gelegt, krankheitsbedingt in Frührente zu gehen…. Da hab ich mich lieber hochgerappelt und musste ziemlich ackern, bis ich so einigermaßen da raus war. Das war ein langer Prozess, der auch von manchen Rückschlägen begleitet war, bis ich dann nach einigen Jahren mal so halbwegs „durch“ war. Es gab auch immer wieder Momente, wo ich einfach nur aufgeben wollte, nicht mehr mochte und nicht mehr konnte (glaubte ich).

Gut, das ich das nicht getan habe. Mit viel Hilfe von tollen Therapeuten und Ärzte, Freunden und einigen, auch längeren, Krankenhausaufenthalten (die nachhaltigsten davon in Grönenbach im Allgäu, wo ich einmal vier und einmal 2 Monate verbracht habe), konnte ich mich so ins Leben und letztlich auch ins Berufsleben zurück ackern. Erst nur auf Aushilfsbasis, dann 20 Stunden, dann als eine der Filialverantwortlichen bei Alnatura und mein ganz großer Glücksgriff war dann die Arbeit bei Kirchen-und Katholikentagen. Das hatte zwar erhebliche Einschnitte in unser Privatleben zur Folge, aber beruflich und persönlich konnte ich da viel gewinnen.

Ohne diese Jahre hätte ich das erste Jahr in meinem jetzigen Job nicht durchgestanden. Wir haben uns hier ja sehr schwer miteinander getan und es war ein Prozess, bis wir da waren, wo wir heute sind.

Privat bin ich ja sowieso angekommen, ziemlich genau vor 14 Jahren, als ich den Gatten von Bielefeld nach Hamburg verschleppt habe und mit dem ich seitdem durch´s Leben gehe. Das war auch nicht immer ohne Tiefen, aber es war immer getragen von dem Wir und dem Zusammenhalt und der Liebe, die uns trägt. Und das tut sie bis heute, was ja auch nicht selbstverständlich ist.

Inzwischen führen wir ein eher beschauliches Leben, aber nach den Jahren mit Zweitwohnung, jährlichen Umzügen und immer neuen Städten ist uns auch nicht so sehr nach viel Aufregung. Wir haben ein gemeinsames Hobby, das wir Dank der Talers, die mein alter Herr mir hinterlassen hat, etwas ausbauen konnten und dem wir immer noch gerne und mit Leidenschaft nachgehen. Mit unterschiedlichen Schwerpunkten, aber eben gerne mit der Kamera unterwegs.

Vielleicht ist es für uns auch deshalb jetzt nicht so ein Problem, mit ein paar Einschränkungen leben zu müssen. Früher sind wir nicht gereist, weil wir es uns nicht leisten konnten und jetzt können wir gut damit leben, dass es dieses Jahr nicht geht, bzw. wir unter diesen Bedingungen nicht so wirklich wollen. Wir sind ja auch gerne Zuhause, genießen unseren Balkon, den wir ja dieses Jahr in Gemeinschaftsarbeit liebevoll gestaltet haben und von Hamburg aus kann man auch schöne Tagesausflüge machen und es gibt so vieles, was wir beide noch nicht kennen.

Ich bin immer noch froh und dankbar, dass es mir gelungen ist, mich aus tiefsten Krisen raus zu ackern, vieles zu überwinden und meinen Frieden zu schließen, mit Dingen, die ich nicht ändern kann. Ich habe mich gestellt und kann nun einiges da lassen, wo es hin gehört. Zwar zu mir und meinem Leben, aber nicht mehr in den Vordergrund und nicht mehr als Klotz am Bein, der mich zeitweise dem Abgrund sehr nahe gebracht hat.

Es gibt ein Gelassenheitsgebet, das mich lange begleitet hat und nach dem ich heute noch versuche zu leben:

 Gott, gib mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann,
  den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann,
  und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.

Gott kann man ja weglassen, wenn man damit nichts anfangen kann. Aber sich nicht an Dingen abarbeiten, die man nicht ändern kann und da wo es Sinn macht auch mal den Mors hochkriegen… da ist was dran. Das ist nicht immer einfach und sich sich selber und, wenn nötig, alten Traumata stellen, das kann durchaus auch schmerzhaft sein.

Für mich kann ich nur sagen, dieser oft auch steinige Weg hat sich gelohnt.

Ja doch, so kann das Leben weitergehen…. ich bin angekommen und zufrieden damit, wie es ist. Was ja nicht heißen muss, das es nicht auch mal wieder Veränderungen geben kann…. aber im Moment muss das nicht sein und ich bin auch nicht permanent auf der Suche nach irgendwas, schon gar nicht dem Sinn des Lebens.

So gibt es Brüche in meinem Leben, mit denen ich inzwischen gut lebe. Wie sagte doch mal eine Therapeutin in Grönenbach zu mir: Umwege erweitern die Ortskenntnis. Und ohne so manch direkte Konfronation hätte ich vielleicht manches nicht in den Griff bekommen (Konfrontation hieß in Grönenbach aber immer auch, konfrontieren aus einer sorgenden Haltung heraus und nicht einfach anbölken). In den dicksten Zeiten konnte ich das nicht so sehen, aber inzwischen weiß ich, dass sie Recht hatte. Und auf manche Weise ist mein Leben vielleicht reicher, als wenn ich so glatt durchmarschiert wäre. Bin ich nicht, ich habe meine Ausbildung nicht ganz abschließen können, weil ich zu krank war. Juristin mit nur 1. Staatsexamen, mit dem ich dann auch wenig anfangen konnte. Aber auch da habe ich meinen Weg gefunden und bin nicht unglücklich damit.

Letztlich hatte ich auch ein bisschen Glück, dass ich viele wirklich gute Seelen getroffen habe, die mir geholfen haben. Seien es Freunde oder auch Fachleute gewesen.

Und natürlich das ganz große Glück, einem Bielefelder begegnet zu sein, mit dem ich hoffentlich noch mein ganzes restliche Leben zusammen verbringen werde.

13 Anmerkungen zu “Angekommen

  1. An mir soll das nicht liegen mit dem ganzen Leben. Weil es mir da genauso geht wie Dir <3

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    Ansonsten erkenne ich in der Geschichte wirklich viele Parallelen zu meinem Leben.
    Umwege und Tiefs gab es da ja eine ganze Menge, die ich genau wie Du damals nicht als zielführend zu erkennen vermochte, sondern nur noch als ein tiefes Loch empfunden habe, aus dem kein Weg mehr herausführen würde. Samt der Überlegung, mich dem mit Flucht aus dem Leben zu entziehen.

    Dass es letztendlich anders gekommen ist, verdanke ich auch Dir und der Hand, die mich damals nach Hamburg gezerrt hat.
    Denn plötzlich gab es wieder neue Ziele und auch einen Sinn in meinem Leben - der auch Bestand hatte in allen Tiefen, die danach noch kamen (und die zum Glück lange nicht so tief waren wie das, was vorher war. )
    Und ich bin froh, dass es auch professionelle Hilfe gab an Stellen, an denen wir alleine nicht mehr weiter gekommen wären.
    Denn damit habe ich meine Altlasten bearbeiten können und den Weg aus der Depression zurück in ein lebenswertes Leben gefunden, in dem die alten Geschichten keine Hypothek mehr sind, die wir beide miteinander vor uns her tragen müssten.

    Also kann ich auch mit Fug und Recht sagen, dass auch ich angekommen bin - ja, dass wir zusammen angekommen sind, denn alleine hätte ich das wohl auch nicht geschafft.

    1. Ich denke, jeder von uns musste vieles für sich selber bewältigen, damit es dann eben auch zusammen geht. Und manches haben wir gut gemeinsam gewuppt und uns gegenseitig unterstützt, uns Halt gegeben, uns auch mal in den Hintern getreten.

  2. Das sind heute sehr persönliche Einblicke in euer Leben. Wenn ich eure Blogs lese gefällt mir immer besonders gut, dass ihr Beide so gut miteinander auskommt. Natürlich denke ich auch, dass es nicht immer nur rosarot ist. Aber welche Wege hinter euch liegen ist schon sehr interessant. Dabei bist du ja fast noch ein „junger Hüpfer“. Ich werde bald 67 Jahre alt. Und ich kann die Menschen die das Rentenalter ersehnen gut verstehen. Aber ich bin schon mit 48 wegen psychicher Probleme in den Vorruhestand gegangen. Mittlerweile geht’s mir wieder gut. Eine Zeit lang habe ich auch 450Euro Jobs gehabt. Aber in meinem Alter ist das nicht mehr so leicht. Deshalb ist mir manchmal ganz schön langweilig. Und da freue ich mich dann sehr über eure Einträge. So, das ist jetzt ein halber Roman ;) Liebe Grüsse

    1. Natürlich ist bei uns nicht immer alles rosarot. Wir hatten auch extrem schwierige Zeiten, wobei das Ungemach vor allem von aussen kam. Aber auch miteinander geht es nicht immer nur im honey moon. Aber wir sind eben bereit, den Weg miteinander zu gehen und ich denke, das trägt uns auch durch schwierige Zeiten. Wir haben noch nie daran gedacht, das Miteinander aufzugeben.
      Ich habe in Zeiten, in denen ich nicht oder nur wenig arbeiten konnte, immer viel ehrenamtlich gemacht. Das hat mir damals auch geholfen, weil es mir Struktur gegeben hat. Ich könnte mir sowas auch für die Zeit der Rente vorstellen, wobei ich nicht die Befürchtung habe, das mir langweilig werden könnte.
      Ich freue mich übrigens über Deine Romane und lese sie sehr gerne :-)

  3. Es ist schön, wie ihr beide zusammenhaltet. Und es ist gut, dass du darüber schreibst. Es macht Mut.
    Du hast viel geschafft, Birte, Und ich glaube dir das unbesehen, dass das kein leichter Weg war. An den Spruch, den du oben zitierst, orientiere ich mich schon lange. Ich habe „Gott“ weggelassen, weil es mir nichts gibt. Der Wahrheitsgehalt aber ist unbestritten. Und deshalb klappt das wahrscheinlich auch ganz gut mit Freundschaften mit gläubigen Menschen.
    Manchmal braucht es auch eine Portion Glück, aber hadern muss man auch nicht, wenn es einen etwas verlassen hat. Das bringt nicht weiter.
    Geh du mal deinen Weg weiter, bleib an deinem Hobby dran. Bei aller Mühe jeden Tag muss es auch Freude geben. Und an der ein bisschen teilhaben zu können, das macht mir nun wieder Freude.
    Und jetzt verabschiede ich mich an die Gießkanne und geben meinen durstigen Büschen vor dem Balkon etwas Wasser.

    1. Mein Weg war zum Teil schon auch dramatisch, das lasse ich hier mal weg. Es würde vermutlich auch zu weit führen. Aber ohne die lange Therapie hätte ich es nicht geschafft.
      Ja, das Fotografieren ist viel Freude, aber es ist nicht so, das ich jeden Tag nur Mühe habe. Ich gehe gerne zur Arbeit und für mich ist es nicht nur ein reiner Broterwerb. Der spielt natürlich auch eine Rolle, sonst würde ich gerne weniger arbeiten.

  4. Es rührt mich sehr, deine Zeilen zu lesen. Und ich empfinde jede Menge Hochachtung für die Bewältigung von einem verdammt steinigen Weg. Ja, man muss wohl gute Strategien entwickeln um nicht in all die Löcher zu fallen, die sich im Leben auftun. Bis sich das Gefühl angekommen zu sein auftut, muss reichlich Ballast erkannt und abgeworfen werden. Den Rest muss man wohl irgendwie parken und hoffen, dass er sich erst meldet wenn man damit umgehen kann. An meinem Spiegel hängt heute noch in farbigen Lettern, was ich mir einst auf die Fahne schrieb um zu überleben:
    Morgen ist ein neuer Tag
    du kannst ihn achten
    wenn du dich achtest
    du kannst ihm vertrauen
    wenn du dir vertraust
    du kannst ihn lieben
    wenn du dich liebst
    du kannst ihn annehmen
    wenn du dich annimmst
    du kannst – wenn du willst
    Morgen ist ein neuer Tag

    1. Strategien zu entwickeln und zu festigen war ein wichtiger Baustein in der Therapie. Selbst wenn die alten Dämonen sich wieder zeigen, ich kann mit ihnen umgehen und konnte ihnen die Macht über mein Leben nehmen. Und die hatten sie lange in Form von Angstzuständen, Panikattacken, einer langjährigen Bulimie und einigem anderen.

  5. Es berührt mich sehr Deine Geschichte zu lesen. In bestimmten Situationen kommt man ohne Hilfe von außen im Leben nicht mehr weiter.
    Ich weiß wovon ich da schreibe: vor vielen Jahren hat mich der Mann meines Lebens ziemlich spontan wegen einer anderen Frau verlassen und ich fiel und fiel und fiel. 17 gemeinsamen Jahre, gerade gebaut- mein Sohn (ein Papajunge – noch ziemlich klein. Gespräche blieb mir mein Ex-Mann schuldig.
    Meine Familie stand mir zur Seite und ich lernte wer meine wirklichen Freunde sind.
    Ich habe mich wieder raus gekrabbelt ..Sich von einem Menschen zu „entlieben“ ist hammerhart.
    Alles Liebe für euch für uns alle…
    Danke für die schönen Momente, die ich immer mit deinen Fotos erlebe.

  6. Das ist so ein wundervoller Blogpost. Und ich ziehe alle meine Hüte – und ich habe etliche! ;-) – vor dir, und mit welcher Kraft, mit welch eisernen Willen, und mit welchem Glauben du dein Leben gemeistert hast, immer noch meisterst. Und ganz toll finde ich es, dass du und Martin einander in so guter und tiefer Liebe verbunden seid. Und ich wünsche euch von Herzen noch sehr viele gemeinsame Jahre.

    1. Ich hatte irgendwann einfach die Schnauze voll mein Leben fremd bestimmen zu lassen von Ängsten, der Bulimie und was damit alles noch so einher ging. Also habe ich die Arschbacken zusammen gekniffen und mich etlichen Dämonen gestellt. Auch denen, die ich mir selber gehalten habe, weil sich in einer Krankheit einzurichten ja durchaus auch einen Gewinn darstellen kann. Das habe ich aufgegeben und vieles neu lernen müssen. Aber es hat sich gelohnt.
      Und mit Martin hat sich dann noch mal alles stabilisiert. Aber wir wissen auch, dass jeder für sich seine Themen beackern muss, damit es dann so gut zusammen geht. Sich dabei nur auf den anderen zu verlassen wäre fatal.

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