Mich nervt’s

Dieses Gerede vom „freedom day“. Als wenn wir in den letzten zwei Jahren in Unfreiheit gelebt hätten, nur weil es ein paar Einschränkungen gab.

Natürlich haben diese Einschränkungen einige richtig hart getroffen. Kinder, Jugendliche, alte und einsame Menschen, Künstler, Gastronomen, sog. Solo-Selbstständige. Das will ich gar nicht in Abrede stellen und vieles ist auch nicht gut gelaufen. Aber das ist ein anderes Thema.

Aber ich habe mich keiner Freiheit beraubt gefühlt, nur weil ich nicht überall hin konnte, weil ich mit Maske durch die Gegend laufe und bis vor ein paar Tagen auch öfter mal meinen Impfnachweis vorzeigen musste.

Ich war keiner meiner Grund-und Freiheitsrechte beraubt, auch wenn es mal eine zeitlang nicht möglich war, überall hinzufahren, irgendwo Party zu machen oder ein Konzert zu genießen.

Die, die jetzt vom freedom day schwadronieren, sollten sich mal angucken, was es wirklich heißt, die Freiheit zu feiern, wenn man vorher in Unfreiheit gelebt hat. In Ländern, die von Dikatoren regiert wurden, Ländern, in denen Apartheid regierte, in denen Menschen mit unbequemen Meinungen spurlos verschwanden, gefoltert und getötet wurden. Länder, in denen es keine freie Presse und keine Freiheit der Kunst gibt.

Wenn man den Begriff freedom day googelt, findet man seitenweise nur Einträge zum Fall der Corona Beschränkungen, kein Hinweis auf Länder, die den wirklich feiern konnten.

Gerade lese ich diese Schlagzeile:

Täglich verschwinden im Irak Aktivisten und Demonstranten. Aktuell werden zwischen 250 000 und einer Million Menschen vermisst. Zurück bleiben Angehörige – mit einer Mischung aus Wut, Trauer und Hoffnung.

Süddeutsche.de

Und wir jammern rum, weil es mal ein paar Einschränkungen für wohlstandsverwahrloste (o-Ton Polizei Hannover bei einer Quarkdenker-Demo) Menschen gab, die uns vermutlich vor noch mehr Toten und Schwerstkranken bewahrt haben. Ich unterstelle den meisten auch, dass es denen nicht um die betroffenen Branchen ging, sondern lediglich um ihren eigenen Bauchnabel.

Mal abgesehen davon, dass ich diesen Begriff völlig albern finde, finde ich ihn auch nicht ungefährlich. Denn er suggeriert ja, dass wir in Unfreiheit gelebt haben. Wir hatten mitten in der Pandemie freie und geheime Wahlen, wir konnten sagen, was wir denken, ohne nächsten Tag spurlos verschwunden zu sein, die Quarkdenker konnten mehr oder weniger ungehindert ihren Schwachsinn verbreiten und auch wenn manche Demo aus Infektionsschutzgründen untersagt worden ist, es war keine Unfreiheit. Punkt. Auf nicht wenigen Kanälen konnte und kann jeder seine Verschwörungsscheiße verbreiten, dubiose Mediziner*innen konnten ungehindert darüber fabulieren, dass Masken lebensgefährlich sind, dass man mit einem gesunden Immunssystem schon durch kommt und und und…

Nein, ein freedom day ist es nicht, es fallen lediglich einige Beschränkungen und uns wird nicht eine niemals verlorene Freiheit zurückgegeben. Mal ganz abgesehen davon, dass zumindest wir beide uns hier weiter ganz freiwillig beschränken werden, weil wir nach wie vor nicht an Corona erkranken möchten, zumal Martin trotz inzwischen vierfacher Impfung vermutlich immer noch nicht wirklich gut geschützt ist und auch mein Impfschutz allmählich nachlassen dürfte. Weshalb ich kein Problem damit habe, auch mich ein viertes Mal pieksen zu lassen.

Im Übrigen haben ja vor allem wir, die wir uns haben impfen lassen, dazu beigetragen, dass es jetzt einen „freedom day“ geben kann.

Ich werde es mir jetzt in aller Freiheit auf dem Sofa gemütlich machen und einen ruhigen Sonntag genießen. Das Usselwetter draußen lockt nicht vor die Tür, auch wenn ich mir natürlich grundsätzlich nicht vom Wetter diktieren lasse, ob ich raus gehe oder nicht :-)

In diesem Sinne, einen schönen Sonntag Euch allen.